Vertrauen oder Kontrolle?
Die richtige Antwort lautet: Es kommt auf den Kontext an!
Was wir von der japanischen Bahn lernen können
Das wissen Sie bestimmt: Die durchschnittliche Verspätung japanischer Züge, einschließlich der Regionalzüge, liegt bei weniger als einer Minute pro Jahr. Beim Schnellzug Shinkansen sind es gar nur 18 Sekunden im Jahresmittel.
Ein Grund für diese beeindruckende Pünktlichkeit ist ein Ritual, das für absolute Kontrolle steht: Shisa Kanko – „Zeigen und Benennen“. Lokführer und Stationspersonal deuten permanent auf Anzeigen und Schalter und sagen laut, was sie sehen und tun. Eine zweite Person bestätigt das, ebenfalls durch lautes Aussprechen. Außenstehenden mag das fast militärisch vorkommen, und die Vorstellung, so im Büro zu arbeiten, wirkt reichlich absurd.
Doch im Bahnbetrieb sorgt dieses Ritual dafür, dass Millionen Menschen täglich pünktlich und sicher ankommen.
Regeln allein schaffen noch keine Verantwortung – Lektionen für die Organisationsentwicklung
Ein Unternehmer, den ich begleite, hat alles in Listen und Beschreibungen verpackt: Jeder Prozess, jeder Ablauf und alle Aufgaben sind bis ins Detail geregelt. Was er geschaffen hat, ist letztlich ein Unternehmenshandbuch. Das Paradoxe daran: Dennoch passieren ständig Fehler, Aufgaben bleiben liegen, und im Team herrscht Frust.
Merke: Regeln allein erzeugen noch keine Verantwortung. Es braucht auch die Zustimmung derer, die Regeln einhalten sollen.
Für die Organisationsentwicklung heißt das: Strukturen und Prozesse sind notwendig, aber sie entfalten ihre Wirkung erst, wenn sie von den Menschen getragen werden, die damit arbeiten.
Ist Shisa Kanko also doch keine so gute Idee? Doch – unbedingt, wenn es sich um sicherheitsrelevante Arbeitsplätze handelt oder um Bereiche, die durch wiederkehrende, immer gleiche Prozesse geprägt sind. Führen Sie Shisa Kanko ein!
Aber bitte nicht top-down von oben, sondern gemeinsam mit Ihrem Team. Ihre Mitarbeitenden kennen die Abläufe oft besser als Sie selbst.
Merke: Wer Verantwortung übernehmen soll, muss auch mitgestalten dürfen. Es braucht eine Kultur der Partizipation – und genau das ist ein Kernanliegen moderner Organisationsentwicklung.
Vertrauen ohne Leitplanken kippt in Beliebigkeit – Gefahr für jede Unternehmenskultur
Alle Führungskräfte, die ich kenne, wollen, dass hervorragende Ergebnisse entstehen – am besten leise und reibungslos, „wie am Schnürchen“. Das ist verständlich, denn dann ist das Unternehmen am profitabelsten. Doch wie erreicht man dieses Ideal?
Alles bis ins Detail zu kontrollieren kostet Zeit, nervt die Mitarbeitenden und irgendwann auch einen selbst. Alles laufen zu lassen klingt zunächst nach Vertrauen und Entlastung. Doch das endet nicht selten im Chaos, das man später mühsam einfangen muss. Und schwupps, wird wieder nach mehr Kontrolle gerufen. Ein ewiger Kreislauf.
Bei einem anderen Auftraggeber von mir gab es quasi keine Prozesse. Die Abläufe waren „wie man es schon immer gemacht hat“. Nichts war schriftlich fixiert, nichts verlässlich standardisiert. Der Unternehmer sagte dazu: „Wir lösen das mit gesundem Menschenverstand – wer mitdenkt, macht keine Fehler, jeder weiß genau, was zu tun ist!“ Klingt charmant, wenn dieser „gesunde Menschenverstand“ gleichmäßig verteilt wäre. Doch auch dort passieren Fehler – sehr viele sogar.
Merke: Vertrauen ohne Regeln kippt in Beliebigkeit. Mitarbeiter benötigen Leitplanken und Orientierung. Genau hier entscheidet sich, ob eine Unternehmenskultur trägt – oder ob sie in Beliebigkeit versandet.
Kontrolle oder Vertrauen? Warum Polaritäten die Teamentwicklung behindern
Ob Kontrolle oder Vertrauen gefragt ist, ist keine Entscheidung für das gesamte Unternehmen, sondern hängt vom Kontext ab. Die folgende Grafik zeigt drei typische Felder, in denen sich Führungskräfte bewegen:
- Kontrolle ist dort hilfreich, wo es um Produktion, Fertigung oder sicherheitsrelevante Prozesse geht. Hier sind klare Standards, Regeln und Checklisten gefragt. Das Ziel: Fehler vermeiden und Risiken minimieren.
- Balance braucht es in vielen anderen Situationen, etwa in Kundenprojekten, im Service oder in der operativen Teamarbeit. Hier greifen Routine und Kreativität ineinander. Führung bedeutet: einen klaren Rahmen geben – und gleichzeitig Luft zu lassen.
- Vertrauen schließlich ist entscheidend bei Strategie, Innovation, Veränderungsprozessen oder in der Teamentwicklung. Dort ist die Unsicherheit hoch, vieles unklar oder unbekannt. Wer hier nur kontrolliert, blockiert. Gefragt sind Mut, Selbstverantwortung und die Bereitschaft, Spielräume bewusst zu öffnen.
Vertrauensvolle Kontrolle:
Wenn klare Regeln die Unternehmenskultur stärken
Kontrolle ist nur so lange hilfreich, wie sie nicht das Vertrauen untergräbt. Wer jede Entscheidung doppelt prüft, sendet die Botschaft: „Ich traue dir nicht.“ Sinnvoll ist Kontrolle dann, wenn sie Transparenz schafft und Fehler vorbeugt – und gleichzeitig klar ist, dass die Verantwortung im Team bleibt. Kontrolle darf nie das Fundament von Vertrauen zerstören. Richtig eingesetzt, kann Kontrolle sogar eine Unternehmenskultur stützen: Sie vermittelt Orientierung und Sicherheit, ohne die Selbstverantwortung zu ersticken.
Kontrolliertes Vertrauen:
Wie die Teamentwicklung durch Verlässlichkeit gewinnt
Vertrauen ist essenziell, aber blindes Vertrauen führt ins Chaos. Wenn alles möglich ist und niemand Grenzen achtet, bleibt am Ende viel versprochen und wenig gehalten. Vertrauen braucht deshalb einen Rahmen: Spielräume, die klar abgesteckt sind. Nur so wird aus Vertrauen Verlässlichkeit – und nicht Beliebigkeit. Für die Teamentwicklung heißt das: Mut und Freiheit sind wichtig – aber nur in Verbindung mit klaren Absprachen und überprüfbaren Verantwortlichkeiten. Es braucht immer beides in beidem. Kontrolle, die Vertrauen stärkt. Und Vertrauen, das durch klare Leitplanken verlässlich wird.
Fazit: Unternehmenskultur braucht die Balance
aus Kontrolle und Vertrauen
Eine starke Unternehmenskultur entsteht dort, wo Kontrolle und Vertrauen bewusst zusammenspielen. Nicht als Gegensätze, sondern als sich ergänzende Kräfte, die Orientierung geben und Freiräume schaffen. In der Organisationsentwicklung ist genau diese Balance der Schlüssel, um nachhaltige Veränderung und gesunde Strukturen zu etablieren.
Donnerstags-Impuls: Ihre Frage an sich selbst und Ihr Team
Halten Sie Ihr Team an der kurzen Leine, weil es die Sache braucht – oder weil es Ihnen Sicherheit gibt?
Schauen Sie sich die Grafik noch einmal an. Fragen Sie sich ehrlich: Wo braucht es in Ihrem Verantwortungsbereich heute mehr Kontrolle – und wo mehr Vertrauen?
Und wenn Sie mutig sind, stellen Sie genau diese Frage auch Ihrem Team.
Hinterlasse einen Kommentar
An der Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns deinen Kommentar!